In den Teilen 1 bis 15 der Serie „Wie böse ist das File-Sharing?“ habe ich ausführlich viele der vorliegenden wissenschaftlichen Analysen über den Zusammenhang von Musik-File-Sharing und Tonträgerabsatz/-umsatz dargestellt und kritisch hinterfragt. Auffallend ist dabei die weite Streuung der Ergebnisse. Manche Studien kommen zum Schluss, dass unautorisiertes File-Sharing die Hauptursache für die rückläufigen Tonträgerverkäufe der letzten Jahre ist, wohingegen andere keinen Zusammenhang feststellen können oder sogar positive Wirkungen identifizieren. Wie kommt es zu solchen Widersprüchen? Der Hauptgrund mag wohl in den unterschiedlichen Methoden liegen, die in den Studien zur Anwendung kommen. Ich werde daher in diesem abschließenden Beitrag versuchen, durch eine Typologisierung der einzelnen Ansätze Ordnung ins methodische Chaos zu bringen und ein Erfolg versprechendes Forschungsdesign zur Diskussion stellen. Ich werde aber auch versuchen den engen Forschungsfokus, den fast alle diskutierten Studien einnehmen, zu erweitern und für das empirische Faktum rückläufiger Tonträgerverkäufe einen umfassenderen Erklärungsversuch anbieten.

 

Alle Erklärungsansätze noch einmal im Überblick

Bevor ich aber die Typologie der in den Teilen 1 bis 15 besprochenen Ansätze über das File-Sharing erstelle, möchte ich diese mit all ihren Stärken und Schwächen noch einmal Revue passieren lassen:

 Teil 1: Huygen, Annelies et al., 2009, „Ups and Downs – Economic and Cultural Effects of File Sharing on Music, Film and Games”. Studie im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft, der Ministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten und des Ministeriums für Justiz der Niederlande.

Methodik und Ergebnisse: Das Autorenteam von drei namhaften wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen in den Niederlanden hat eine repräsentative Umfrage über das Download-Verhalten niederländischer Internetnutzer durchgeführt und ist zum Ergebnis gelangt, dass weder ein positiver noch ein negativer Effekt zwischen CD-Verkäufen bzw. Onlinebezahlmusik einerseits und File-Sharing andererseits hergestellt werden kann. Sie ziehen aus den Studienergebnissen den Schluss, dass File-Sharing einfach eine andere, neue Art der Musiknutzung ist, die noch dazu den Niederlanden pro Jahr einen Wohlfahrtszuwachs von EUR 100 Mio. beschert.

Kritik: Von kleinen Unsauberkeiten bei der Fragestellung und der Auswertung einmal abgesehen, ist diese Studie der derzeit vertrauenswürdigste und wissenschaftlich fundierteste Beitrag zur Diskussion rund um die Wirkungen von File-Sharing.

 

Teil 2: Liebowitz, Stan J., 2006, „File Sharing: Creative Distruction or Just Plain Destruction?” Journal of Law and Economics XLIX, April 2006, S. 1-27

Methodik und Ergebnisse: Liebowitz versucht mit einem mikroökonomisch fundierten Modell zu zeigen, dass der Substitutions- und Samplingeffekt von File-Sharing stark negativ auf die CD-Verkäufe wirken. Hingegen haben seines Erachtens die auf die CD-Verkäufe positiv wirkenden Netzwerk-Aneignungseffekte des File-Sharings so gut wie keinen Einfluss.

Kritik: Liebowitz wendet das nullachtfünfzehn Instrumentarium der neoklassischen Modellbildung auf den Musikmarkt an. Er lässt dabei sowohl historische Entwicklungen (Einführung der CD) als auch institutionelle Besonderheiten der Musikindustrie (oligopolistische Marktstrukturen) außer Acht. Zudem kann er keinerlei empirische Belege liefern, die seine rein theoretischen Spekulationen untermauern könnten. Dabei ist auch die Methodik, der er sich bedient, mehr als hinterfragenswert. Liebowitz widerlegt anscheinend vier Begründungen, warum File-Sharing keine oder keine großen Auswirkungen auf den Tonträgerumsatz hat und zieht daraus den Schluss, dass dann wohl nur die Musiktauschbörsen Schuld am Absatzrückgang der CD haben können. Eine solche Beweisführung ist unzureichend und methodisch höchst fragwürdig.

 

Teil 3: Oberholzer-Gee, Felix und Strumpf, Koleman, 2007, The Effect of File Sharing on Record Sales: An Empirical Analysis”. Journal of Political Economy, Vol. 115, No. 1 (2007).

Methodik und Ergebnisse: In einer ökonometrischen Studie zeigen Oberholzer-Gee und Strumpf, dass in einer direkten Album-zu-Album-Betrachtung kein signifikanter Zusammenhang zwischen File-Sharing und CD-Verkäufen festzustellen ist.

Kritik: Die Oberholzer-Gee/Strumpf-Studie ist trotz gegenteiliger Behauptungen von Industrievertretern immer noch gültig und ist methodisch einwandfrei erstellt worden. Die ökonometrischen Tests beziehen sich auf ein hochwertiges Datenmaterial, zu dem man als Wissenschaftler ansonsten keinen Zugriff hat. Noch dazu sind die Ergebnisse repräsentativ und zwar für das File-Sharing insgesamt und für den Untersuchungszeitraum auch weltweit. Allerdings gelten die Ergebnisse nicht für alle Zeiten, sondern nur für September bis Dezember 2002. Über diesen Zeitabschnitt hinaus muss man sich mit Plausibilitätsvergleichen helfen, die wiederum sehr leicht anfechtbar sind. Die Studie müsste in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, um die Ergebnisse auch auf einen längeren Zeitraum beziehen zu können.

 

Teil 4: Rob, Rafael und Waldfogel, Joel, 2006, “Piracy on the High C’s: Music Downloading, Sales Displacement, and Social Welfare in a Sample of College Students”. Journal of Law and Economics, Vol. XLIX (April 2006), S. 29-62.

Methodik und Ergebnisse: Rob und Waldfogel haben an vier US-amerikanischen Colleges das Musikkonsumverhalten von Studenten in einer nicht repräsentativen Umfrage untersucht, und sind zum Schluss gekommen, dass ein Download in einem File-Sharing-Netzwerk die Kaufwahrscheinlichkeit einer CD um 20% verringert. Sie errechnen aber auch, dass das File-Sharing die Konsumentenrente pro Kopf um US$ 45 und somit die Gesamtwohlfahrt erhöht.

Kritik: Die Autoren räumen selbst ein, dass die Erhebung nicht repräsentativ ist und durch den Fokus auf Studentinnen und Studenten zusätzlich verzerrt ist. Zudem ist die Frage nach dem subjektiven Wert, dem Musik in ökonomischen Größen (sic!) beigemessen wird, naiv. Insgesamt sind die statistischen Ergebnisse nicht sehr robust und halten zusätzlichen Tests nicht stand. Schon allein deswegen müssen die Schlussfolgerungen der Autoren mit aller Vorsicht genossen und dürfen auf keinen Fall verallgemeinert werden.

 

Teil 5: Andersen, Brigitte und Frenz, Marion, 2007, The Impact of Music Downloads and P2P File-Sharing on the Purchase of Music: A Study for Industry Canada.

Methodik und Ergebnisse: Andersen und Frenz werteten eine repräsentative Studie zum Musik- und Freizeitverhalten der kanadischen Bevölkerung nach ökonometrischen Methoden aus und stellten fest, dass für 1 Album, das über ein P2P File-Sharing-System herunter geladen wird, 0,44 CDs mehr verkauft werden. Oder anders gesagt, wenn 3 Alben herunter geladen werden, wird mindestens eine CD mehr verkauft. Zudem konnten sie auch einen positiven Zusammenhang zwischen Musikkäufen und andere Formen des Entertainments wie Kinobesuche, Videospiele und Konzertbesuche feststellen.

Kritik: Die Studie ist zwar methodisch einwandfrei erstellt worden, allerdings bietet sie keine Erklärung für den erhobenen positiven Zusammenhang zwischen File-Sharing und CD-Verkäufe. Darüber hinaus lässt die Fokussierung auf die Regressionsanalyse eine Modellbildung vermissen. Zu sehr werden in einfachen Kausalitäten Zusammenhänge hergestellt, ohne diese erklären zu können. Letztendlich gelingt es weder, den positiven Effekt, den File-Sharing auf die CD-Verkäufe haben soll, genau zu quantifizieren noch auf eine oder mehrere Ursachen zurückzuführen.

 

Teil 6: Tin Cheuk (Tommy) Leung, 2008, Should the Music Industry Sue Its On Customers? Impacts of Music Piracy and Policy Suggerstions. Job Market Paper, University of Minnesota.

Methodik und Ergebnisse: Tommy Leung hat eine nicht repräsentative Befragung von Undergraduates an der University of Minnesota durchgeführt und herausgefunden, dass es einen sehr schwachen Substitutionseffekt von CD-Verkäufen durch File-Sharing gibt. Steigt die File-Sharing-Rate um 10%, so werden von den befragten Studentinnen und Studenten um 0,7% weniger iTunes-Songs und um 0,4% weniger CDs gekauft. Zudem zeigt der Autor, dass das absolute Verbot von File-Sharing einen höheren Wohlfahrtsverlust erzeugt als wenn das File-Sharing frei gegeben werden würde und stattdessen der Verkauf von iPods quasi mit einer File-Sharing-Abgabe belegt werden würde.

Kritik: Die Befragung ist nicht repräsentativ und bei der Fokussierung auf Studierende mit einem starken Bias zu Musikaffinität aber auch Internetnutzung versehen. Zwar hat Leung mit der Conjoint-Methodik versucht, die Realitätsferne der direkten Befragung auszugleichen, aber bei genauer Betrachtung der eingesetzten Instrumente bleibt Skepsis angebracht. Die Zusammenstellung der zu bewertenden Pakete ist sehr hypothetisch und wird auf den iPod und iTunes reduziert.

 

Teil 7/1: Peitz, Martin und Waelbroeck, Patrick, 2006, Why the music industry may gain from free downloading – The role of sampling”. International Journal of Industrial Organization, Vol. 24 (2006), S. 907-913.

Methodik und Ergebnisse: In einem mikroökonomisch fundierten Musiknutzermodell zeigen Peitz und Waelbroeck, dass File-Sharing den Urhebern und Musikdistributeuren schaden kann, aber auch, dass Tauschbörsen auch einen positiven Sampling-Effekt aufweisen, der die Nachteile auf Produzentenseite bei Weitem aufwiegt.

Kritik: Auch wenn die Modellierung aufwändiger ist als z.B. jene von Liebowitz, so sind die Modellannahmen – Mehrprodukt-Monopol, Gewinnmaximierung, vollständige Markttransparenz – wenig realistisch. Somit muss die Kernaussage, dass Sampling die Gesamtwohlfahrt und damit auch die Erträge der Label erhöhen kann, wenn eine entsprechende Produktvielfalt besteht, relativiert werden.

 

Teil 7/2: Bounie, David, Bourreau, Marc und Waelbrock, Patrick, 2005, Pirates or Explorers? Analysis of Music Consumption in French Graduate Schools. Telecom Paris Economics Working Paper No. EC-05-01, Juni 2005.

Methodik und Ergebnisse: Die Daten wurden in einer anonymisierten, nicht repräsentativen Onlinebefragung an zwei französischen Écoles Superieurs gewonnen, in der neben demographischen Variablen (Schultyp, Geschlecht und Alter), die Qualität des Internetzugangs, die Art des Musikkonsums, MP3-Nutzung und die Meinung zum Downloading abgefragt wurden. Die Autoren leiten aus der Befragung zwei Nutzertypen ab: Die „Piraten“, die File-Sharing betreiben, um sich keine CDs kaufen zu müssen (Substitutionseffekt) und die „Explorer“, die neue Musik in Musiktauschbörsen kennen lernen wollen, die, wenn sie ihnen gefällt, dann durchaus auch auf CD kaufen (Samplingeffekt). Da die „Explorer“ eine signifikant höhere Musikaffinität als die „Piraten“ aufweisen, dominiert der Sampling- den Substitutionseffekt. Aus diesem Grund sollen neue Geschäftsmodelle in der Musikindustrie zwischen diesen beiden Typen klar unterscheiden und die entsprechende Produkte/Leistungen anzubieten. Ein Verbot von File-Sharing wird nicht als zielführend angesehen.

Kritik: Die Befragung ist nicht repräsentativ und Studierende sind aufgrund ihrer hohen Musikaffinität nicht als Untersuchungsobjekt verallgemeinerbar. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die Umsätze für käuflich zu erwerbende Musik insgesamt stark zurück gegangen sind, obwohl Sampling nach Angaben der Autoren zu mehr CD-Käufen führen müsste.

 

Teil 7/3: Gopal, Ram D., Bhattacharjee, Sudip und Sanders, Lawrence G., 2006, “Do Artists Benefit from Online Music Sharing?” The Journal of Business, Vol. 79, Nr. 3, S. 1503-1533.

Methodik und Ergebnisse: Die Autoren entwickeln ein mikroökonomisches Modell, in dem die Anreizstrukturen für Produzenten und Konsumenten bezüglich Musik dargestellt werden und konfrontieren dieses mit verschiedenen Marktszenarien, um die ökonomischen Wirkungen des Samplings auf den Tonträgerabsatz studieren zu können. Sie ziehen aus ihrer Studie drei Schlussfolgerungen: (1) Der Anreiz für Konsumenten zum Sampling und zum käuflichen Erwerben von Musik, hängt sehr stark von der Bewertung eines Musikstücks ab; (2) die Produzenten können effektiv Piraterie bekämpfen und ihre Erträge steigern; (3) das Sampling reduziert den Superstar-Effekt und zwar proportional zu den Sampling-Kosten.

Kritik: Die Aussage, dass durch das Sampling der Superstareffekt über die letzte Dekade hinweg abgenommen hat, ist wegen des schwachen empirischen Belegs, schlecht gestützt. Es wird nämlich die Zahl der Internetuser in direkte Relation zum Superstar-Effekt gesetzt, was nicht zulässig ist. Insgesamt sind die Statements, die in der Befragung vorgelegt wurden, sehr stark aufs Modell bezogen und sehr restriktiv. Sie lassen kaum Alternativen zu und es entsteht der Eindruck, dass die Befragung so konstruiert wurde, dass Modell kompatible Ergebnisse erzielt werden können.

 

Teil 8: Zentner, Alejandro, 2006, “Measuring the Effect of File Sharing on Music Purchases”. Journal of Law and Economics XLIX (April 2006), S. 63-90.

Methodik und Ergebnisse: Zentner verwendet Daten aus einer europäischen Konsumentenbefragung über das Nutzungsverhalten von Entertainment-Produkten. Für sieben Länder – Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien – wurde auch die Nutzung von Musiktauschbörsen erhoben. Diese Daten bezieht der Autor nun in einem ökonometrischen Modell auf die Art des Internetzugangs und vergleicht File-Sharer und Nicht-File-Sharer. Aus diesem Vergleich leitet Zentner ab, dass der unautorisierte Download von MP3-Files die Wahrscheinlichkeit Musik käuflich zu erwerben um 30% im Monat reduziert.

Kritik: Die direkte Regressionsanalyse ergibt zwar, dass Personen, die mehr File-Sharing betreiben auch mehr Musik kaufen. Zentner verwirft aber dieses Ergebnis mit dem Argument, dass die Musikaffinität, die im Datenmaterial nicht abgebildet ist, keine exogene, sondern eine endogene Variable ist, und bei File-Sharern stärker ausgeprägt ist als bei Nicht-File-Sharern. Deshalb korreliert Zentner die File-Sharing-Nutzung mit der Art des Internetzugangs, wodurch sehr wohl ein negativer Effekt von File-Sharing auf die CD-Verkäufe ableitbar ist. Das ist allerdings ein unnötiger Kunstgriff und sagt weniger aus als das ursprünglich getestete ökonometrische Modell. Zudem muss erwähnt werden, dass die breit angelegte Konsumentenbefragung für die genannten europäischen Länder repräsentativ ist, nicht aber das Sub-Sample der Musikkonsumenten. Und schließlich muss noch darauf hingewiesen werden, dass sich die Daten einzig und allein auf den September 2001 beziehen. Zentner verallgemeinert aber seine Aussagen auf das ganze Jahr 2002 (sic!), was natürlich vollkommen unzulässig ist.

 

Teil 9: Tanaka, Tatsuo, 2004, Does file sharing reduce music CD sales?: A case of Japan. Working Paper 05-08 des Institute of Innovation Research, Hitotsubashi University in Tokio.

Methodik und Ergebnisse: Tanaka untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Download-Verhalten auf der in Japan im Beobachtungszeitraum beliebten File-Sharing-Website „Winny” und den Verkaufszahlen jener CDs, die über die Tauschbörse herunter geladen wurde. Die Auswertung erbrachte keinen statistisch signifikanten Zusammenhang. Gleichzeitig wurde unter Studierenden der Keio Universität eine Befragung über deren Musikkonsum durchgeführt, die ebenfalls zeigte, dass File-Sharing nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die CD-Verkäufe hat.

Kritik: Die Untersuchung entspricht vom Design in etwa jenem von Oberholzer-Gee/Strumpf, allerdings ohne über ein so großes Datenvolumen zu verfügen, wodurch es der Untersuchung ein Repräsentanz mangelt. Auch die parallel durchgeführte Befragung von Universitätsstudenten kann die Aussagekraft nur bedingt erhöhen.

 

Teil 10: Lee, Seonmi, 2006, The Effect of File Sharing on Consumer’s Purchasing Pattern: A Survey Approach. Working Paper, University of Florida.

Methodik und Ergebnisse: In einer nicht repräsentativen Befragung unter koreanischen Studenten versuch Lee herauszufinden, wie sich das Kaufverhalten für CDs verändert hat. Er kommt zum Ergebnis, dass der Preis nur einen schwachen Effekt auf die Kaufbereitschaft hat, hingegen andere Faktoren wie Genrepräferenzen oder die Wertschätzung gegenüber den Musikern statistisch signifikant die Kaufentscheidung beeinflussen. Und er schließt aus dem Datenmaterial, dass File-Sharing einen negativen Einfluss auf den Tonträgerabsatz hat.

Kritik: Die Studie von Seonmi Lee weist eine Vielzahl von Schwächen auf. Bereits bei der Hypothesengenerierung ist ihm ein schwerer Fehler unterlaufen, dass die beiden Hypothesen nicht unabhängig voneinander sind. Die Untersuchung ist zudem nicht repräsentativ und die Problematik von Befragungen unter Studierenden ist bekannt. Das Sample von 12 getesteten CDs ist noch dazu so klein, dass man daraus eigentlich gar keine Rückschlüsse ziehen sollte. Insgesamt hat die Studie von Lee eine nur sehr begrenzte Aussagekraft und ist keineswegs in der Lage, den im Titel behaupteten Zusammenhang zwischen File-Sharing und der Änderung des Kaufverhaltens von Musikkonsumentinnen und ‑konsumenten herzustellen. Somit entbehrt auch die Beweisführung, mit der Lee belegen möchte, dass File-Sharing negativ auf den CD-Absatz wirkt, jeglicher Grundlage.

 

Teil 11: Michel, Norbert J., 2006, The Impact of Digital File Sharing on the Music Industry. A Theoretical and Empirical Analysis”. Topics in Economic Analysis & Policy, Vol. 6, No 1, Article 18.

Methodik und Ergebnisse: In seinem Ansatz modelliert Michel nicht nur das Musikkonsumentenverhalten, sondern auch die Beziehung zwischen Label und Musiker, um daraus ein spieltheoretisches Entscheidungsmodell abzuleiten, mit dessen Hilfe er zu zeigen versucht, dass File-Sharing die CD-Umsätze verringert hat und es keinen Hinweis darauf gibt, dass File-Sharing einen positiven Effekt auf Umsätze und Gewinne der Tonträgerunternehmen hat.

Kritik: Da viele der Modellprämissen dem Realitätstest nicht standhalten, sind auch die Aussagen, die der Autor aus dem Modell ableitet, nur sehr eingeschränkt gültig. Man muss sogar davon ausgehen, dass sich manche der Schlussfolgerungen in ihr Gegenteil umschlagen, wenn die Grundannahmen mehr Realitätsbezug bekommen. Der empirische Test, den Michel zur Unterstützung seiner Modellaussagen durchführt, muss ebenso kritisch hinterfragt werden. Der gewählte Zeitraum für Wirkungsanalyse ist mit 1998-2001 sehr kurz bemessen. Die Datenbasis scheint sehr undifferenziert zu sein und wenig brauchbar für die Hypothesenklärung.

 

Teil 12: Bayaan, Ibrahiim, 2004, Technology and the Music Industry: Effects on Profits, Variety, and Welfare. Working Paper, Emory University.

Methodik und Ergebnisse: In einem mikroökonomischen Modell werden von Bayaan die Nachfrage und das Angebot nach Musik untersucht. Er zeigt, dass die Entstehung von File-Sharing die Nachfrage nach CDs sinken lässt, aber mit zwei Strategien dem entgegen gewirkt werden kann: Qualitätsverbesserung der CD und mit juristischem Vorgehen geben die File-Sharer, wobei letztere Strategie im Modell weniger wirksam ist als erstere. Zudem zeigt Bayaan, dass der technologische Fortschritt, in dessen Zusammenhang File-Sharing zu sehen ist, die Anzahl der Musiker erhöht und eine größere Vielfalt in der Musikindustrie erzeugt.

Kritik: Das Modell von Bayaan ist nicht nur zu kurz greifend, sondern geht auch von falschen Prämissen aus. Dennoch ist die Idee, das juristische Vorgehen der Label gegen die File-Sharer im Modell abzubilden und auch Erträge abseits des Tonträgerverkaufs zu berücksichtigen, verfolgenswert.

 

Teil 13: Curien, Nicolas und Moreau, François, 2005, The Music Industry in the Digital Era: Towards New Business Frontiers? Working Paper am Laboratoire d’Econométrie, Conservatoire National des Arts et Métiers Paris.

Methodik und Ergebnisse: Die Autoren entwickeln ein spieltheoretisches Modell, in dem die Label als Monopolisten fungieren und die Konsumenten zwischen verschiedenen Formen des Musikkonsums (Konserve vs. Live-Event) wählen können. Sie kommen darin zum Ergebnis, dass vor allem die großen Label (Majors) wirtschaftliche Einbußen durch das File-Sharing erleiden, wohingegen die Künstler dann profitieren können, wenn sie sich verstärkt auf den Live-Auftritt konzentrieren. Und in diesem Geschäftsfeld sehen die Autoren auf den Ausweg für die Label aus der wirtschaftlichen Misere. Ihrer Meinung nach sollten sie sich ins Konzertbusiness einkaufen und sich vertikal integrieren. File-Sharing sollte legalisiert werden, die Labels sollen ins Konzertgeschäft einsteigen und die CDs verschenken, um über den Sampling-Effekt die Konzerte zu promoten.

Kritik: Auch wenn das spieltheoretische Modell von Curien & Moreau sehr aufwändig konstruiert ist, ist die Beweisführung sehr umständlich und mathematisch formalisiert. Viele der Modellparameter (Zahlungsbereitschaft, wahrgenommene Qualität einer CD, Differenz zwischen erwünschter Musikvielfalt und tatsächlicher, „Skrupel gegenüber Piraterie“) sind kaum zu operationalisieren und empirisch erfassbar zu machen. Dadurch mutiert das Modell zu einer Denksportaufgabe, die spannend zu lösen ist, aber keinerlei Konsequenz in der Realität nach sich zieht.

 

Teil 14: Boorstin, Eric S., 2004, Music Sales in the Age of File Sharing. Masterthesis an der Princeton University.

Methodik und Ergebnisse: Boorstin testet in einem ökonometrischen Modell für 99 US-amerikanische Städte ab, ob zwischen dem Internetzugang und dem CD-Absatz ein Zusammenhang besteht. Er kommt zum Schluss, dass der Internetzugang auf den CD-Absatz bei der Altergruppe der 15-25jährigen eine signifikant negative Wirkung hat, wohingegen bei  den über 25jährigen ein signifikant positiver Zusammenhang besteht. Daraus schließt der Autor, dass bei den 15-25jährigen der Substitutionseffekt dominiert, während bei den älteren Internetnutzern der Sampling-Effekt vorherrscht. Über alle Altersgruppen hinweg ergibt sich sogar ein insgesamt positiver, hoch signifikanter Zusammenhang zwischen Internetzugang und CD-Absatz.

Kritik: Boorstin zeigt zwar auf, dass junge Musikkonsumenten eine andere Nutzungsstruktur aufweisen als ältere. Allerdings sollte daraus nicht gleich der Schluss gezogen werden, dass die älteren Musikfans eher Sampling über File-Sharing betreiben und die Teenager grundsätzlich CD-Käufe durch Downloads aus Tauschbörsen substituieren. Diese Schlussfolgerung ist schon allein deswegen unzulässig, weil der Autor nicht Downloads mit dem CD-Absatz in Beziehung setzt, sondern Internetzugangsdaten. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass der Internetzugang positiv über alle Altergruppen hinweg mit dem CD-Umsatz korreliert, wobei für die unter 25jährigen der Zusammenhang negativ und für die älteren Nutzer der Zusammenhang positiv ist.

 

Teil 15: Blackburn, David, 2004, On-line Piracy and Recorded Music Sales. Working Paper an der Harvard University.

Methodik und Ergebnisse: Blackburn vergleicht über einen gewissen Zeitraum die über File-Sharing herunter geladenen Alben mit den Verkaufszahlen ihrer physischen Pendants, um daraus mit ökonometrischen Methoden die Auswirkungen von File-Sharing auf den CD-Absatz zu eruieren. In einer gesamtheitlichen Betrachtung aller Albenverkäufe heben sich der Sampling- und Substitutionseffekt auf, sodass keine statistisch signifikante Wirkung von File-Sharing auf den CD-Absatz feststellbar ist. Betrachtet man aber die Alben von sehr bekannten Künstler, die in den letzten 10 Jahren Charterfolge aufzuweisen hatten, so dominiert bei ihnen der Substitutionseffekt, wohingegen bei unbekannten Künstlern, die kaum in den Charts vertreten sind, der Samplingeffekt vorherrscht. Durch das File-Sharing kommt es also zu einer Nivellierung des Superstareffekts und einer Umverteilung der Erträge aus dem Tonträgergeschäft von den Superstars zu den weniger bekannten Künstlern.

Kritik: Die von Blackburn gewählte Methodik entspricht jener von Oberholzer-Gee/Strumpf und Tanaka, wobei die Datenqualität eine sehr gute ist und auch einen entsprechend langen Zeitraum abdeckt. Alle Tests sind sehr sorgfältig durchgeführt worden und die Schlussfolgerungen können durchaus als verbindlich angesehen werden. Zwar betont Blackburn den negativen Effekt des File-Sharings bei Superstar-Alben, deren Absatz um 490 Stk. pro Woche zurückgegangen ist, aber es gibt bei weniger bekannten Künstlern einen positiven Effekt von plus 70 Stk. pro Woche. D.h. File-Sharing führt zu einer Umverteilung der Einkommensströme von den Stars zu den Newcomern und sorgt indirekt dafür, dass neue Künstler entdeckt und die Vielfalt im Musikangebot erhöht wird.

 

Eine Typologie der Erklärungsversuche zu den Wirkungen des Musik-File-Sharing

Betrachtet man die einzelnen Ansätze im Vergleich zueinander, so ist es wenig überraschend, dass sie bei so unterschiedlichen Methoden so konträre Ergebnisse und Schlussfolgerungen bieten. Es ist daher angebracht die Ansätze nach den verwendeten Methoden zu typologisieren.

Gruppe 1: Rein modellhafte Ansätze, die entweder mikroökonomisch fundiert sind, wie jene von Liebowitz (Teil 2), Peitz & Waelbroeck (Teil 7/1) und Bayaan (Teil 12) oder spieltheoretisch wie jener von Curien & Moreau (Teil 13). Allen diesen Ansätzen ist gemein, dass sie mehr oder weniger realitätsferne Annahmen treffen müssen, um überhaupt prognosefähig zu sein. Die Palette reicht dabei von Liebowitz’ simplifizierenden Modell, das so gut wie keine brauchbaren Aussagen liefert bis hin zu sehr komplexen Modellen wie das von Peitz & Waelbroeck und vor allem von Curien & Moreau, aus denen zwar interessante Erkenntnisse ableitbar sind, die aber empirisch kaum umgesetzt werden können.

Gruppe 2: Umfrage-basierende Ansätze: Die zweite und größte Gruppe von Erklärungsansätzen beruht auf Umfragen, die entweder modellgestützt sind (Bounie et al. – Teil 7/2, Gopal et al. – Teil 7/3 und Michel – Teil 12) oder nicht (Huygen et al. – Teil 1, Rob & Waldfogel – Teil 4, Leung – Teil 6 und Lee – Teil 10). Bis auf eine Ausnahme sind alle Umfragen nicht repräsentativ und wurden unter Studierenden von Universitäten und Colleges durchgeführt. Damit verbunden ist der Nachteil, dass sich die Aussagen dieser speziellen Musiknutzergruppe nicht verallgemeinern lassen, und somit gar keine Rückschlüsse auf die empirisch beobachtbaren Rückgänge im CD-Absatz zulässig sind. Einzig und allein die niederländische File-Sharing-Studie von einem Autorenteam rund um Annelies Huygen (Teil 1) vermeidet diese Schwäche und ist zumindest für die niederländische Gesamtbevölkerung repräsentativ. Allerdings kommt gerade diese zum Schluss, dass der Rückgang der CD-Verkäufe nicht durch das File-Sharing-Verhalten der Niederländer erklärt werden kann.

Gruppe 3: Ökonometrische Ansätze: In diesen Ansätzen wird entweder direkt der Zusammenhang zwischen CD-Absatz und File-Sharing-Volumen gemessen (Oberholzer-Gee & Strumpf – Teil 3, Tanaka – Teil 9 und Blackburn – Teil 15) oder es werden instrumentelle Variablen wie die Art des Internetzugangs zur Erklärung heran gezogen (Anderson & Frenz – Teil 5, Zentner – Teil 8, Boorstin – Teil 14). Auch wenn letztere zu teilweise auch sehr interessanten Ergebnissen kommen, ist deren Aussagekraft durch den indirekten Bezug eingeschränkt. Die höchste wissenschaftliche Qualität weisen daher jene ökonometrischen Ansätze auf, die einen direkten Bezug herstellen und sich, wie im Fall von Oberholzer-Gee & Strumpf sowie Blackburn, auf eine breite Datenbasis stützen können.

Einen Überblick über alle Ansätze kann man sich hier noch einmal verschaffen: Erklärungsansätze zu File-Sharing-Wirkungen

 

Ein Vorschlag zur Modellierung der File-Sharing-Wirkungen

Im Vergleich der drei Gruppen von Erklärungsansätzen kann nicht automatisch einem Untersuchungsdesign der Vorzug gegeben werden. Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass die rein modellhaften Ansätze schon allein wegen der nötigen Reduktion auf kausale Zusammenhänge zu kurz greifen. Dennoch sollte eine solide und realitätsbezogene Modellbildung der Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen sein. Was sollten nun die Eckpfeiler eines solchen Modells sein und was soll es erklären können?

(1) Prämissen auf Anbieterseite

–         Die Musikindustrie und insbesondere die Tonträgerindustrie zeichnen sich durch oligopolistische Marktstrukturen aus.

–         Die Label, insbesondere die Majors zielen auf die Maximierung des Marktanteils und somit auf eine größtmögliche Kontrolle der musikwirtschaftlichen Verwertungsstrukturen und –prozesse ab.

–         Der Wettbewerb ist aufgrund der urheberrechtlichen Rahmenbedingungen von monopolistischer Konkurrenz geprägt.

(2) Prämissen auf der Nachfragerseite

–         Es gibt einen Substitutionseffekt von File-Sharing auf den Tonträgerverkauf bzw. auf diverse Bezahlangebote, der negativ auf den Absatz/die Umsätze wirkt.

–         Es gibt einen Netzwerkeffekt, den man nach Anderson & Frenz (Teil 5) weiter in einen Marktentwicklungseffekt und in einen Marktsegmentierungseffekt differenzieren kann. Marktentwicklung tritt zum einen dann auf, wenn über das File-Sharing neue Künstler und Genres entdeckt werden, um in der Folge Tonträger zu kaufen bzw. Bezahlangebote in Anspruch zu nehmen. Zum anderen kommt es zur Marktentwicklung, wenn die Musik, die man von Tauschbörsen herunter lädt, im Geschäft bzw. bei Onlineanbietern nicht oder nicht in der gewünschten Form verfügbar ist. Dann entsteht eine Nachfrage, die herkömmlich nicht befriedigt werden kann. Der Marktsegmentierungseffekt tritt auf, wenn ein Nutzer nicht das ganze Album, sondern nur einen Track davon haben möchte. Alle diese Effekte wirken entweder neutral oder positiv auf den Tonträgerabsatz bzw. auf diverse Bezahlservices.

Ein solches Modell kann nun in der Lage sein zu klären, wie hoch der negativ wirkende Substitutions- und der positiv wirkende Netzwerkeffekt ausfallen, und ob und in welcher Höhe ein Schaden für die Musikproduzenten und -verwerter entsteht. Geht man von den vorliegenden File-Sharing-Studien aus, ist ohnehin offen, ob überhaupt ein Schaden im Sinn von Umsatz- und Gewinneinbußen entsteht. Zieht man nur die methodisch einwandfreien Studien in Betracht – Huygen et al. (Teil 1), Oberholzer-Gee & Strumpf (Teil 3) und Blackburn (Teil 15) – so wird in allen drei Arbeiten ein neutraler Effekt des File-Sharing auf den CD-Absatz festgestellt, wobei Blackburn (Teil 15) in einer differenzierten Analyse einen Umverteilungseffekt zwischen Superstars und Newcomer identifiziert. Es ist daher äußerst übertrieben von einem 1:1-Substitutionseffekt zwischen File-Sharing und käuflich zu erwerbender Musik auszugehen. Wenn überhaupt, dann bewegen sich die Verluste der Musikverwerter in einem erheblich geringeren Ausmaß und es kann aufgrund der vorliegenden empirischen Belege die Hypothese einer positiven Wirkung von File-Sharing auf Kaufmusik nicht verworfen werden.

 

Ein Vorschlag zu einem empirischen Forschungsdesign

Wie könnte man nun die Wirkung des Substitutions- und Netzwerkeffekt empirisch am besten erheben? Dazu bietet sich folgende Vorgangsweise an: In einer repräsentativen Umfrage nach dem Vorbild der niederländischen Studie (Huygen et al. – Teil 1) sollten in einem der großen Musikmärkte (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien) oder am besten gleich in allen fünf Märkten nicht nur quantitative Sachverhalte erhoben, sondern auch die Motive abgefragt werden, warum File-Sharing betrieben wird. Man müsste quasi den Musiktauschbörsennutzern über die Schulter schauen und erheben, welche Musiktitel sie herunterladen und sie gleichzeitig nach den Motiven und Gründen ihres Tuns fragen. Es würde sich dabei mehr um eine Test- denn um eine Umfragesituation handeln, die bei sichergestellter Repräsentativität und einem entsprechend langen Beobachtungszeitraum (am besten gleich ein ganzes Jahr) auch verallgemeinerbare Aussagen zuließe und die Vorteile der Befragung mit jenen der ökonometrischen Analysen kombinieren würde. Damit könnte zumindest auf wissenschaftlicher Ebene dem Streit um die Wirkung des File-Sharing ein Ende gemacht werden. Den Gerichten könnte man eine gute Basis für verbindliche Urteile und die Bemessung eines adäquaten Schadenersatzes, sofern ein solcher überhaupt zu leisten wäre, bieten. Dann wären auch die Vertreter der Musikindustrie gefordert, ihre eigene Position zum Musik-File-Sharing zu hinterfragen und an konstruktiven Lösungen mitzuarbeiten.

 

File-Sharing-Bashing ist keine zielführende Strategie

Denn die oft zitierte „Krise der Musikindustrie“, die eigentlich eine Krise der Musik-Majors und des Tonträger-Geschäftsmodells ist, kann nicht auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Musiktauschbörsennutzung und Tonträgerverkäufen reduziert werden. Bei genauer Analyse wird klar, dass sich die Musikindustrie in einem Strukturbruch befindet, der weit über technologische Veränderungen hinausgeht. Wie ich es in meinem Buch „Kreativität und Innovation in der Musikindustrie“ aufzuzeigen versucht habe, ist das bestehende Wertschöpfungsnetzwerk, das sich seit den 1950er Jahren rund um die wirtschaftliche Verwertung des Tonträgers herausgebildet hat, und das die Musikindustrie im Kern zu einer Tonträgerindustrie hat mutieren lassen, durch eine systemfremde Kreativität aufgebrochen worden. Das Geschäftsmodell rund um den Tonträger hat seine Wertschöpfungskraft verloren und stattdessen bildet sich ein neues Geschäftsmodell, oder besser gesagt, es bilden sich gleich mehrere Geschäftsmodelle heraus, in denen der Zugang zur Musik als Dienstleistung vermarktet wird. Ob dabei Musik direkt verkauft wird (über Download-Shops, Abo-Dienste, Klingeltöne etc.) oder indirekt zur Quelle von neuen Erlösströmen wird (Musik als Werbeträger, Musik als Verkaufsargument für Abspielgeräte oder Content für andere Entertainment-Angebote wie in Videospielen etc.) ist nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, wie sich diese Angebote zum Nutzen aller Beteiligten entfalten können.

In diesem Sinn ist auch die reduzierte Betrachtung von Tonträger- und Digitalmusikumsätzen von Musik nicht zielführend. Zwangsläufig muss der Umsatz einer veralteten Technologie, wie es der Tonträger darstellt, sinken. Stattdessen entstehen aber neue Erlöspotenziale in Feldern, die in den Verbandsstatistiken nicht abgebildet sind. Bezieht man die Erlöse, die mit Musikdownloads und -aboangeboten gemacht werden mit ein, so ergibt sich bereits ein verändertes Bild. Rechnet man die Werbeerlöse, die diverse Musikanbieter im Internet erzielen, und die Umsätze mit Abspielgeräten (MP3-Player, musiktaugliche Handys uä.) hinzu, so haben wir es mit boomenden Märkten zu tun, die ihr Entstehen und ihren Aufschwung dem Angebot musikalischer Inhalte zu verdanken haben. Natürlich sind diese Umsätze nicht 1:1 durch Musik induziert, aber wenn auch nur ein Anteil davon zum Ansatz kommt, ist das mehr als in den letzten Jahren am Umsätzen mit Tonträgern verloren gegangen ist, nun sind die Nutznießer eben Akteure, die (noch) außerhalb der Tonträgerindustrie angesiedelt sind.

Will man in Zukunft zu den Gewinnern zählen, so muss man sich von traditionellen Geschäftsmodellen verabschieden und die neuen Erlöspotenziale für sich nutzbar machen. Der Kampf gegen Musiktauschbörsen ist dabei sicherlich nicht der zielführende Weg. Man sollte sich vielmehr überlegen, wie diese neue Form der Musiknutzung wirtschaftlich nutzbar zu machen ist, womit wir bei der Diskussion um Musik-Flatraten und neue Urheberrechtsformen wären.